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Zappelpollerforschung

ZAPPEL Poller

Abb aus: Helmut Höge, Pollerforschung, Siegen 2010: S. 140.

Die Welt ist oft sehr zappelunfreundlich eingerichtet. Es fällt einem lebenserfahrenen Zappel kaum noch auf. Genauso, wie einem lebenserfahrenen Linkshänder die Linkshänderunfreundlichkeit der Dinge kaum noch auffällt. Man ist an diese kleinen Nickeligkeiten der Rechtshänderdinge so gewöhnt, dass man sie stillschweigend in Kauf nimmt. Man bemerkt diese stillschweigende Inkaufnahme nur sehr selten und kommt in aller Regel gut damit zurecht. Kürzlich verhedderte ich mich beim Unterschreiben meiner Kreditkartenquittung am Schalter einer Tankstelle so in die Kette, an der das Schreibgerät befestigt war, dass ich 20 oder 30 Sekunden brauchte, den Griffel zu entwirren, um mich endlich in der Lage zu befinden, meine Unterschrift dort lesbar hinzuschreiben. Ich bemerkte diese kurze Auseinandersetzung mit der Kugelschreiberkette kaum. Nicht das geringste Gefühl das Ärgers kam auf. Nicht die kleinste Irritation. Solche kleinen Kämpfe gegen die Ausrichtung der Dinge auf die rechte Hand sind schon lange in mein Nervensystem programmiert, in die Reflexe, sie kommen schon lange nicht mehr in meinen Gedanken an. Dass ich diese Situation überhaupt erinnere, liegt daran, dass ich von jemandem darauf aufmerksam gemacht wurde. Der Tankwart lächelte mich nickend an: »Ach … ja … das ist natürlich nicht für Linkshänder gemacht.« Da bemerkte ich es erst: »Ach! … Ja-ah … Natürlich«, und nickte lächelnd zurück. Das war alles sehr nett. Das war alles sehr sympathisch. Wegen meiner Linkshändigkeit habe ich mich noch nie ernsthaft diskriminiert oder schlecht behandelt gefühlt. Manchmal löst sie eine kleine Alltagsverbrüderung aus. »Ach … ja … so ist das Leben. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen.« Ab und zu wird man als Linkshänder an sein Linkshänderpäckchen, das man zu tragen hat, erinnert, und bekommt dabei ein sympathisches Lächeln und ein bisschen Freundlichkeit. Das gefällt mir.

Ganz anders sieht es mit der Zappelunfreundlichkeit aus. Die allgemeine Zappelunfreundlichkeit ist kein Päckchen, das man zu tragen hat, sie ist ein massiver Poller, den die Menschen in ihren Köpfen aufgestellt haben. Genauso wie das Linkshänderpäckchen bemerkt man die Zappelpoller selten. Überhaupt neigt man dazu, Poller zu übersehen, wie die aktuelle Pollerforschung an zahlreichen Beispielen belegen kann, aber wenn man an ihre Existenz erinnert wird, dann gibt es kein sympathisches Lächeln und kein bisschen Freundlichkeit. Dann gibt es Beulen. Dann fallen die Scherben. Dann zersplittert die Stimmung und der Tag geht kaputt. Kürzlich wollte ich morgens um zwei in einen Club. Ich hatte bis dahin gearbeitet, war komplett nüchtern und unmedikamentiert. Also natürlich. Ich war so, wie ich eigentlich bin. Der Türsteher schaute mich kurz an und sagte: »Nein!« Ich fragte: »Wie, nein?« Er sagte: »Du kommst hier nicht rein.« Ich fragte: »Warum denn das?« Er sagte: »Du bist mir ein bisschen zu aufgeregt.« Ich fragte: »Was meinst du damit? Zu aufgeregt?« Er sagte: »Du bist voll drauf, Mann! Speed! Koks! Was weiß ich!« Ich sagte: »Nein!« Er sagte: »Doch!« Ich sagte: »Nein! Ich hab ADHS. Das…« Er unterbrach mich und meinte: »ADHS? Wo hast du das denn her? Das ist hier doch gar nicht auf dem Markt.« Das war überhaupt nicht lustig. Das war kein bisschen komisch. Die Diskussion war zu Ende. Er ließ mich in der Tat nicht rein. Das war ein kommunikativer Zusammenstoß mit einem Zappelpoller. Ich brauchte Tage, um die mentalen Beulen wieder auszubeulen, die er mir verursacht hatte. »Ja… Verdammt nochmal! … Ey, echt jetzt, Mann!« Die Symptome eines neurotypischen Speed- oder Koks- oder Wasweißichrauschs von den Symptomen von ADHS zu unterscheiden, ist nicht so schwer. Sogar für das neurotypische Auge ist es nicht so schwer, wenn kein Zappelpoller drinnen steckt. Zappeln, wenn’s natürliches Zappeln ist, schadet auf der Clubtanzfläche keinem was. Bitte, liebe Leute, nehmt die Zappelpoller aus den Köpfen. Sie sind bloß schwer und sehen außerdem bescheuert aus. Umgekippter Autoreifen mit kantigem Eisenstab gespickt. Nehmt sie raus, das sieht doch nicht aus. Verschrottet sie, macht Linkshänderklaviere draus. Vieles gefiele mir um so vieles besser dann.

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