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Ich fange nun an recht hübsch in meinen Tag hineinzukommen

Ich fange nun an recht hübsch in meine Arbeit hineinzukommen; und mit Hilfe von Pflanzenkost und etwas kühlendem Samentränklein werde ich, wie ich nicht zweifle, imstande sein, die Geschichte meines Onkels Toby und meine eigene in einer ziemlich geraden Linie fortzusetzen. Nun waren dies

Tristram Shandy, Buch 6, Kap. 40, Linien der Bücher 1, 2, 3, und 4.

die vier Linien, die ich in meinem 1., 2., 3., und 4. Bande einhielt. - Im 5. Bande habe ich mich sehr gut benommen, - die Linie, die ich in diesem beschrieb, war genau folgende:

Tristram Shandy, Buch 6, Kap. 40, Linie des 5. Buchs

Hieraus ergibt sich, daß ich mit Ausnahme des in A bezeichneten Bogens, wo ich einen Abstecher nach Navarra machte, - und der gezahnten Kurve B, welche den kurzen Ausritt bedeutet, den ich mir dort mit der Frau von Baussière erlaubte, - nicht die geringste Abschweifung machte, bis mich die Teufel der Giovanni della Casa zu der Schleife D verführten; - denn die C C C C C sind nur Parenthesen, die gewöhnlichen ein- und ausspringenden Vorfälle, die im Leben der größten Staatsminister vorkommen und die im Vergleich mit dem, was die Menschen getan haben - oder mit meinen eigenen Abschweifungen in A, B und D in nichts verschwinden.

In diesem letzten Bande habe ich es noch besser gemacht, - denn vom Ende der Episode Le Fevers bis zum Anfang der Feldzüge meines Onkels Toby, - bin ich kaum einen Schritt aus meinem Wege herausgetreten.

Wenn ich mich in diesem Maße weiter verbessere, ist es nicht unmöglich, daß ich noch - falls Seine Gnaden der Teufel von Benevento es gestattet, - dahin gelange so schön eben wie folgt fortzufahren:

Tristram Shandy, Buch 6, Kap. 40, Linie, die mit dem Lineal des Schreiblehrers gezogen sein könnte

welche Linie so gerade gezogen ist, als ich sie mit einem (zu diesem Zwecke geliehenen) Lineal eines Schreiblehrers ziehen konnte, und die weder rechts noch links abschweift.

Diese gerade Linie, - der Pfad, den Christen wandeln sollen, sagten die Geistlichen,-

  • Das Sinnbild moralischer Geradheit, sagt Cicero, -
  • Die beste Linie sagen Kohlpflanzer, - die kürzeste Linie, sagt Archimedes, die man von einem gegebenen Punkte nach einem andern ziehen kann. -

Ich wollte, meine Damen, Sie würden sich die Sache für Ihre nächsten Geburtstagsanzüge zu Herzen nehmen!

  • Was für ein Weg!

Können Sie mir sagen, - das heißt ohne Ärger, ehe ich mein Kapitel über gerade Linien schreibe, - infolge welches Mißgriffs, - auf wessen Behauptung hin, - oder aufgrund welcher Veranlassung Männer von Geist und Genie diese Linie ständig mit der SCHWERKRAFT verwechselt haben?

Aus Laurence Sterne : Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman, Insel Verl. Frankfurt a.M. 1982, S. 508 - 510. Andere Übersetzung: Jetzt fange ich an in Zug zu kommen. / Englisches Original: I am now beginning to get fairly into my work.

Es ist immer wieder ein Genuss, im Tristram Shandy (1759 - 1767) um- und herumzuschweifen, um die Abschweifung zu feiern wie einen barocken Maskenball im Spiegelsaal oder wie einen entfesselten Hops vorm Bücherregal. Dieses Buch ist ecotisch osmotisch wie kein anderes für mich. Natürlich, naturlich, habe ich es niemals in gerader Linie durchgelesen, aber hineingedäumelt, um- und herumgeblättert, hier und da durchaus studiert mit egozentrischem Erblühn, unzählige Male immer wieder, ach, und es wirkt auf mich als wie zuvor.

Tristram Shandy unternimmt in Tristram Shandy den Versuch, seine Autobiografie zu schreiben, kommt aber über neun Bände hinweg, das heißt insgesamt über mehr als tausend Seiten hindurch, nicht über die Woche seiner Geburt hinaus. Er beginnt das Vorhaben, sein Leben in gerader Linie zwischen den Punkten seiner Zeugung und des Sitzens am Schreibtisch beim Schreiben des Tristram Shandy entlangzubeschreiben, wacker und voller Zuversicht eben mit, was durchaus sinnvoll und zweckdienlich, sogar logisch erscheint, dem Akt seiner Zeugung. Doch dann, sofort, prompti pronto, unterbricht sich die gerade Linie seines Schreibvorhabens durch die kurvige Linie seines Gedanken- ja was: flusses?, stromes??, schauers!, hagels!! in Form einer ersten Unterbrechung in Gestalt einer unterbrochenen Uhr. Ebendiese Uhr nämlich, eine schrankgroße Pendeluhr ist es, steht stehender- das heißt nichtpendelnderweise im Schlafzimmer der Eltern des Tristram Shandy, ebenwelches, Sie können es sich denken, der Schauplatz des Aktes der Zeugung ebendes Tristram Shandy ist. »Höre, Alter, sagte meine Mutter,« beginnt Tristram Shandy in Tristram Shandy seine erste Abschweifung, die eine Beschreibung der Abschweifung seiner Mutter während des besagten Aktes seiner besagten Zeugung ist, die eine Unterbrechung desselben zur Folge hat, »hast du nicht vergessen, die Uhr aufzuziehen?« — Diese ursprüngliche Abschweifung, diese initiale Kurve in der Linie seiner persönlichen Erzeugungsgeschichte, nun also, nimmt Tristram Shandy zum Anlass, die Abschweifung zum Prinzip seiner Arbeit zu erheben - als hätte genau diese Abschweifung während seines Zeugungsaktes seine Neigung zur Abschweifung verursacht - vielleicht hat sie es tatsächlich - und setzt dasselbe, in weit voranschweifender Vorwegnahme der nichtlinearen Textarchitekturen der literarischen Moderne, wovon er vermutlich selbstverständlich nichts ahnen kann, ins Werk. Shandy schweift ab, was das Schreibzeug hält und trifft damit präzise, dank verschlungenster Flugbahn seiner Zeichenpfeile (siehe Abb oben), seit damals und für alle Zeiten, mitten in die HGLherzen aller lesenden Länder aller lebenden Völker.

Statt über sein Leben und seine Meinungen schreibt abschweifend Tristram Shandy in Tristram Shandy, in kurvenreichen Pfaden (siehe Abb oben), nun also sofort fortan etwa - u.v.a. - u.v.v.a. - u.v.v.v.a. - … - über: Das Schlittschuhlaufen gegen den Wind in Flandern. Das Auskämmen von Eselsschwänzen. Nasen. Das Unterschreiben von Widmungen (Ich habe die Ehre zu sein, mein gnädiger Herr, Euer Gnaden gehorsamster, und ergebenster und untertänigster Diener. gez. Tristram Shandy). Das Anschlagen von Lobpreisungen an Türen. Die schwierigsten Probleme der Geometrie. Einen F.. Tausend kleine skeptische Ansichten, die als Grillen, als vive la Bagatelle! auftreten. Die Befugnisse der Hebamme laut römischkatholischer Kirchenordnung. Schöne Leserinnen. Die Macht des Ungewitters. Wirkungen, welche die Leidenschaften und die Gemütsbewegungen auf die Verdauung ausüben. Verworrene, dickköpfige Dunkelmänner. Backenbärte. Das unerklärliche Erscheinen des Dr. Slops. Steckenpferde. ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏ ⅏. Verräterisch zerrissenes Rockfutter. Den erhabenen Kaulfrosch, der den ganzen Tag lang Sommer und Winter in einer Pfütze lebt und plätschert. Große Perücken und lange Bärte. Springen, spritzen, hüpfen, steigen, bocken wie ein ungesatteltes Füllen. Alle Beweisführungen der Naturphilosophie. Knopflöcher. Eine dicke närrische Spülmagd. Die Amputation des Schwanzes eines jungen Hundes. Hilfszeitwörter. Das Korrigieren kitzliger Erörterungen in fastendem Zustand. Schuhe, die bei den Römern in Mode waren (der offene Schuh, der geschlossene Schuh, der Schlappschuh, der Holzschuh, der Soccus, der Halbstiefel, der Soldatenschuh mit Nägeln, der hölzerne Überschuh, die Pantoffel, der Riemenschuh, die Sandale mit Nesteln, der Filzschuh, der leinene Schuh, der gestrickte Schuh, der geflochtene Schuh, der calceus incisus und der calceus rostratus). ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗. Umstände, unter denen einem das Wort Spleen in den Sinn kommt. Fou - fou - fou - fou - fou - fou und bou - bou - bou - bou - bou - bou, immer schneller. Zwei Tassen Milchkaffee. Die süße Periode im Leben des Menschen, wenn das Gehirn noch zart und faserig und mehr als irgend etwas der Pappe ähnlich ist. Eine Liste der Sehenswürdigkeiten von Lyon. Die Post. Das Vorhaben, die Türangel im Wohnzimmer noch unter der derzeitigen Regierung in Ordnung zu bringen. Das Verschieben dieses Vorhabens auf die Periode der nächsten Regierung. Tantarra-ra-tan-tivi. Das Ausziehen von Reitsteifeln, die an der Ferse drücken. Den verwünschten Schlitz im Rock. Den momentanen Kampf in den feuchten Augen eines Aprilmorgens. _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _. Einen GOCKEL und einen BULLEN.

In Kapitel 40 des sechsten Bandes (siehe Text oben) schweift Tristram Shandy in Tristram Shandy zur Struktur von Tristram Shandy und zeichnet den Verlauf der vorangegangenen Bände recht hübsch als kurvige Linien (siehe Abb oben) nach, die auch recht hübsch, verallgemeinert, für eine Nachzeichung des Verlaufs eines geläufigen HGLtages hergenommen werden können. ∗ ∗ ∗ Ich fange nun an recht hübsch in meinen Tag hineinzukommen. — Und jetzt? Ach! ,moment

Tristram Shandy, Buch 6, Kap. 40, Linie des 5. Buchs

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