hgl_150
Luc Bondy outed seinen Kampf gegen «eine seltsame Abwesenheit» – und begreift ihn als Vorteil
SZ: (…) Als Gloucester seinen Irrtum erkennt, sagt er: «Ich habe keinen Weg und brauche deshalb keine Augen. Ich stolperte, als ich sah… bloß unsere Fehler erweisen sich als unser Vorteil.» Haben Sie Fehler, die sich als Vorteil erwiesen haben? LB: Ich bin ein schwerer Legastheniker und ADS-ler. Also muss ich doppelt vorsichtig sein, um auf der Straße nicht überfahren zu werden. SZ: Ein Aufmerksamkeitsdefizit, wie wird das zum Vorteil? LB: Es ist bekannt, dass Legastheniker besonders konzentrationsfähig sind. Man muss gegen eine seltsame Abwesenheit kämpfen und sich eben zwingen, wie ich im Theater kontinuierliche Bühnenvorgänge genauestens zu beobachten. Zum Beispiel schaue ich mir auf einer Probe 30 Minuten lang einen szenischen Ablauf an, ohne ihn zu unterbrechen. SZ: Fast wie ein Zuschauer? LB: Nicht ganz. Ich denke so viel an das Stück, manchmal weiß ich mehr, meistens weniger. Während der Proben muss man oft an so viele konkrete Dinge denken, dass es einem wie ein Spiritualitätsverlust vorkommt. ^Süddeutsche Zeitung vom 26./27./28. Mai 2007, Seite VIII^
Die Tücke schlechter Begriffe – in diesem (überhaupt sehr lesenswerten) Interview steckt sie nicht zum ersten Mal in «D» wie «Defizit» und verführt offenbar: den sich weniger defizitär wähnenden, reizverschlosseneren Teil der Menschheit wiederholt zu einseitigen Betrachtungen und nicht weniger einseitigen Schlüssen.
Es ist mehr als an der Zeit, diese beschränkte Wahrnehmung um die anderen Seiten -des- -Defizits- der Inkonsistenz & Co. zu ergänzen. Mehr ihrer selbst mitsamt ihrer jeweiligen Qualitäten bewusste Luc Bondys könnten dabei nicht schaden. Und naheliegenderweise bei sich selbst damit anzufangen scheint mir: eine ziemlich gute Idee.