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In den Meeren: hglt es, gewaltig. Und all dies fällt, wie Katarakte, von beiden nur vermeintlich diametralen Polen, der Erde nicht, sondern des hiesigen Planeten, aufeinander zu, treibt bald gischtige Schaumkronen weithin sichtbar über die wilden Wasser, stürmt dann in der innersten Tiefe vermeintlich spiegelglatter See.

(…) Sie sei geschwommen wie irre, nie habe sie eine Notwendigkeit gespürt, schnell zu sein, nie vorher, nie wieder nachher. Der Delphin sei weggewesen, ganz einfach, und sie habe, im Wasser, geweint. «Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre ertrunken.» Dabei habe sie ihn nur einmal berühren wollen, nur fühlen, wie sich das anfühlt, wenn einer vom Mond kommt. «Ich habe mich auf ihn nicht genug konzentriert, es ist ganz falsch gewesen zu kraulen. Wäre ich langsam, Fichte, langsam, wäre ich einfach nur geschwommen, er wäre nicht geflohen vor mir. Er hätte es nicht mit der Angst gekriegt.»

Hat Fichte deshalb mit dem langsamsten Geschöpf gelebt, das ihm je begegnet ist? Alles, was Irene tat, dehnte die Zeit, indessen für ihn zwischen Entschluß und Durchführung gar kein Unterschied war. Er hatte eine Idee, er setzte sie um, meist hatte er mehrere und stürmte allen gleichzeitig nach. Nie, schon nicht als Kind, hat er stillsitzen können, stand immer unter Spannung. Ganz selten die Momente, daß er ruhig war, eine Zeit lang müde; nachts fiel er sofort, geradezu abrupt, in Schlaf, erwachte, sprang hoch und war laut und hell und schon getrieben. «Sie sind wundervoll, wenn Sie so sind», sagte Clara, seine letzte Geliebte, als er einmal einen Anflug von Lethargie zuließ. Die Vorstellung von Simultanität hat ihn immer begeistert: wie vieles gleichzeitig geschieht und geschieht, während Irene so etwas lähmte. Lähmte über alle Ruhe hinaus. Das konnte Fichte halb wahnsinnig machen. Und merkt: Auch das fehlt ihm. Es war immer schwer, mit ihr einen Termin einzuhalten. Nahmen sie sich für den Sonntag nachmittag vor, mit ihrem kleinen Sohn ins Schwimmbad zu gehen, gelang das nicht oft, weil sie ja auch noch frühstücken wollten. Fichte fuhr mit dem Rad früh um sechs ins Atelier, kam heim um zehn mit Brötchen, da war Irene immer noch im Bad, dann erst begann sie, den Tisch zu decken er ging ihr zur Hand. «Bitte, Fichte, sei nicht nervös. Laß mich allein. Ich muß mich konzentrieren.» Auf die Frühstückseier. Sie stand die ganzen viereinhalb oder fünf Minuten dabei und beschaute das Blubbern, und erst, hatte sie die Eier abgeschreckt und auch dies mit äußerster Sorgfalt, konnte sie sich neuen Aufgaben widmen. Um zwölf saßen sie endlich bei Tisch, um zwei mußte der Kleine schlafen, um vier lohnte der Gang ins Schwimmbad nicht mehr. Irene schnitt Zwiebeln so fein, daß die halbrunden Streifen wie Federn hätten schweben können. Und arrangierte sie, wässerte sie, gab Zitronensaft darauf und, zu Staubfäden gehäckseltes Grün, Koriander. Für ein Abendessen mit Gästen kochte sie wenigstens zehn Stunden. Was auf den Tisch kam, war ein Fest. Die Dinge liebten sie, weil sie sich ihnen widmete. So vergingen die Monate. Später. (…)

Herbst, Alban Nikolai: Meere. Frankfurt a. M. : Dielmann. 2003/2007. S. 24–26.

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